Press release: After the fire in Moria camp, Lesvos: 70 organizations from Europe demand fairness and transparency in the trial of the six accused refugees

(german below)

Chios/Göttingen, 2021/06/07

After the fire in Camp Moria, Lesbos: 70 organizations from Europe demand fairness and
transparency in the trial of the six accused refugees
On June 11, 2021, the trial of four of the six juvenile refugees accused of burning down
Camp Moria in September 2020 will take place on the Greek island of Chios. Human rights
organizations fear massive violations of fundamental rights at the trial of the minors. An
appeal supported by some 70 organizations, groups and initiatives states:
“We are deeply concerned that the right of the defendants to a fair and just trial, based on the presumption of innocence, is not guaranteed and that they are instead being made scapegoats for inhumane EU migration policies. From the moment of their arrest and before the start of due process, they have been presented to the public as guilty.”
Two of the six defendants were already sentenced to prison terms of five years in March,
despite a lack of evidence and a trial riddled with irregularities. The key witness could not
be located and none of the defendants could be identified from the 17 prosecution
witnesses present. Key exculpatory witnesses in defense of the defendants, on the other
hand, were turned away and only two people were admitted. Oda Becker of the
#FreeTheMoria6 solidarity campaign attended their trial on March 9, 2021, and stated:“Our fears of an unfair trial already came true when we observed the first trial, when two of the defendants were sentenced to five years in prison by the juvenile court in March. Against the remaining defendants, the sentence is likely to be even harsher, despite the lack of evidence.”

Five of the six defendants were minors at the time of the arrest, according to their own
statements, but only two of them were recognized as such by the Greek state and
consequently treated under the juvenile criminal code. The Greek Minister of Migration has
already pre-sentenced the defendants. He announced on September 16, 2020 that “the
camp was burned down by six Afghan refugees who were arrested.” This overrides the
basic legal principle that all defendants are presumed innocent until proven guilty.
On September 8, 2020, the notorious Camp Moria on the Greek island of Lesbos burned
down completely. The widespread and prolonged fires, which were well documented and
broadcast almost live on social media, brought the ongoing policy of deterrence through
inhumane conditions in Europe’s Aegean hotspot camps back into the media spotlight.

The arrest of the six refugees as alleged culprits attempted to nip in the bud further public
debate about living conditions in the camp, and the political responsibility of the EU and
the Greek state. The fires occurred at a time when the number of people living in the camp
had reached 12,000, movement restrictions had been in place for almost six months, and
a growing fear of Covid-19 was spreading in the camp. A week before the fire, the first
person in the camp had tested positive for the virus. Instead of evacuating people from the
camp and improving their living conditions, the government planned to completely seal off
the entire camp with two rows of NATO high-security fencing and violently cracked down
on any protests.
Valeria Hänsel, migration researcher and spokesperson for the Solidarity Campaign has
been researching European asylum and migration policy for years. She knows the
background of the court cases:
“The criminalization of refugees unfortunately has a long tradition in the European hotspot camps on the Greek islands. Time and again, protests against the untenable conditions in the camps have been violently put down and refugees have been held in pre-trial detention for months despite a lack of evidence and tried in proceedings that violate basic legal standards. In the current political situation, where protection seekers are systematically victimized by violent illegal pushback operations and people are housed in closed camps in disastrous conditions, this practice is particularly disturbing.”

As representatives of the press, you are cordially invited to contact us with any requests at
freethemoria6@riseup.net

Link to statement:
https://freethemoria6.noblogs.org/deutsch-forderung-nach-einem-fairen-und-
transparenten-prozess-fur-die-angeklagten-moria-6-auf-der-grundlage-der-
unschuldsvermutung/

More information and contacts (also during the process):
Valeria Hänsel, migration researcher and spokesperson for #FreeTheMoria6.
Email: freethemoria6@riseup.net
Twitter: #FreeTheMoria6
Blog: https://freethemoria6.noblogs.org/

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Pressemitteilung und Einladung zur Pressekonferenz am 11.6.

Chios/Göttingen, 07.06.2021

Nach dem Brand im Camp Moria, Lesbos: 70 Organisationen aus Europa fordern Fairness und Transparenz im Verfahren gegen die sechs angeklagten Geflüchteten

Am 11. Juni 2021 findet auf der griechischen Insel Chios der Prozess gegen vier der sechs jugendlichen Geflüchteten statt, die beschuldigt werden, das Camp Moria im September 2020 niedergebrannt zu haben. Menschenrechtsorganisationen befürchten massive Grundrechts-verletzungen beim Prozess gegen die Minderjährigen. In einem Aufruf, der von rund 70 Organisationen, Gruppen und Initiativen unterstützen wird, heißt es:

“Wir sind zutiefst besorgt darüber, dass das Recht der Angeklagten auf einen fairen und gerechten Prozess, basierend auf der Unschuldsvermutung, nicht gewährleistet ist und sie stattdessen zu Sündenböcken für die unmenschliche EU-Migrationspolitik gemacht werden. Vom Moment ihrer Verhaftung an und vor dem Start eines ordentlichen Gerichtsverfahrens wurden sie in der Öffentlichkeit als Schuldige präsentiert.”

Zwei der sechs Angeklagten wurden bereits im März zu Gefängnisstrafen von fünf Jahren verurteilt, trotz mangelnder Beweise und einem von Unregelmäßigkeiten durchzogenen Gerichtsverfahren. Der Kronzeuge konnte nicht ausfindig gemacht werden und keiner der Angeklagten konnte von den 17 anwesenden Belastungszeugen der Staatsanwaltschaft identifiziert werden. Wichtige Entlastungszeugen zur Verteidigung der Angeklagten wurden hingegen weggeschickt und nur zwei Personen zugelassen. Oda Becker von der Solidaritätskampagne #FreeTheMoria6 hat ihr Gerichtsverfahren am 8. März 2021 begleitet und erklärt:

“Unsere Befürchtungen eines unfairen Prozesses haben sich bereits bei der Beobachtung des ersten Gerichtsverfahrens bewahrheitet, als zwei der Angeklagten im März vom Jugendgericht zu fünf Jahren Haft verurteilt wurden. Gegen die verbleibenden Angeklagten wird das Urteil trotz mangelnder Beweise vermutlich noch harscher ausfallen.“

Fünf der sechs Angeklagten waren laut eigener Angabe zum Zeitpunkt der Verhaftung minderjährig, doch nur zwei von ihnen wurden vom griechischen Staat als solche anerkannt und infolgedessen nach dem Jugendstrafrecht behandelt. Der griechische Migrationsminister hat die Angeklagten bereits vorverurteilt. Er verkündete am 16. September 2020, dass „das Lager von sechs afghanischen Flüchtlingen niedergebrannt wurde, die festgenommen wurden“. Dies übergeht das juristische Grundprinzip, dass für alle Angeklagten die Unschuldsvermutung gilt, bis ihre Schuld bewiesen ist.

Am 8. September 2020 brannte das berüchtigte Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos vollständig ab. Die großflächigen und langanhaltenden Brände, die gut dokumentiert und nahezu live über soziale Medien übertragen wurden, brachten die anhaltende Politik der Abschreckung durch unmenschliche Bedingungen in Europas Hotspot-Lagern in der Ägäis zurück in das mediale Rampenlicht.

Durch die Verhaftung der sechs Geflüchteten als vermeintliche Schuldige wurde versucht, eine weitere öffentliche Debatte über die Lebensbedingungen im Lager und die politische Verantwortung der EU und des griechischen Staates im Keim zu ersticken. Die Brände ereigneten sich zu einer Zeit, als die Zahl der im Lager lebenden Menschen 12.000 erreicht hatte, Bewegungseinschränkungen seit fast sechs Monaten in Kraft waren und sich eine wachsende Angst vor Covid-19 im Lager ausbreitete. Eine Woche vor dem Brand war die erste Person im Lager positiv auf das Virus getestet worden. Anstatt die Menschen aus dem Lager zu evakuieren und ihre Lebensbedingungen zu verbessern, plante die Regierung, das gesamte Lager mit einem doppelten Nato-Hochsicherheitszaun komplett abzuriegeln und ging gewaltsam gegen jeglichen Protest vor.

Valeria Hänsel, Migrationsforscherin und Sprecherin der Solidaritätskampagne forscht seit Jahren zur europäischen Asyl- und Migrationspolitik. Sie kennt die Hintergründe der Gerichtsverfahren:

Die Kriminalisierung von Geflüchteten hat leider eine lange Tradition in den Europäischen Hotspot-Lagern auf den griechischen Inseln. Immer wieder wurden Proteste gegen die unhaltbaren Zustände in den Lagern gewaltsam niedergeschlagen und Geflüchtete trotz mangelnder Beweise über Monate in Untersuchungshaft festgehalten und in Verfahren, die grundlegende Rechtsstandards verletzen, vor Gericht gestellt. In der aktuellen politischen Situation, in der Schutzsuchende systematisch Opfer von gewaltsamen illegalen Pushback-Operationen werden und Menschen unter katastrophalen Bedingungen in geschlossenen Lagern untergebracht werden, ist diese Praxis besonders verstörend.“

Am 11. Juni findet das Gerichtsverfahren auf der griechischen Insel Chios statt. Die Solidaritätskampagne wird dazu eine Pressekonferenz (online) veranstalten mit der Migrationsforscherin und Prozessbeobachterin Valeria Hänsel, die aktuell vor Ort ist, sowie der Vertreterin der Solidaritätskampagne #FreeTheMoria6 Oda Becker.

Als Pressevertreter*innen sind Sie herzlich eingeladen daran teilzunehmen mit der Bitte um eine vorherige Anmeldung unter freethemoria@riseup.net .

Link zum Statement:

https://freethemoria6.noblogs.org/deutsch-forderung-nach-einem-fairen-und-transparenten-prozess-fur-die-angeklagten-moria-6-auf-der-grundlage-der-unschuldsvermutung/

Weitere Informationen und Kontakte (auch während des Prozesses):

Valeria Hänsel, Migrationsforscherin und Sprecherin von #FreeTheMoria6

E-Mail: freethemoria6@riseup.net

Twitter: #FreeTheMoria6

Blog: https://freethemoria6.noblogs.org/

Pressekonferenz:

11. Juni, 16 Uhr MEZ, mit Pressesprecherinnen Valeria Hänsel und Oda Becker

Anmeldung: freethemoria6@riseup.net

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